Markttreiben by N Förg

Markttreiben by N Förg

Autor:N Förg [Förg, N]
Die sprache: deu
Format: mobi
ISBN: 9783863580261
veröffentlicht: 2012-08-11T14:30:04+00:00


ELF

Und einmal (wann? auch dies ist vergessen):

den Widerhaken gefühlt,

wo der Puls den Gegentakt wagte.

Gerhard riss seine Jeansjacke vom Stuhl, brüllte ins Nachbarbüro, dass er weg sei, und fuhr nach Hause. Schnappte sich sein Mountainbike und fuhr los. Wie ein Irrer fuhr er. Den Forster Berg hinauf, durch Birkland. Wieso er in Apfeldorf landete, war ihm selber unklar.

Bettina Deutz saß im Garten, diesmal mit einem Buch. Sie sah auf, als seine Bremsen leise quietschten. Er lehnte das Rad an den Zaun und ging durchs Gartentor. Setzte sich auf den zweiten Stuhl.

»Und nun?«, sagte Bettina Deutz nach einer Weile.

»Ich habe keine Ahnung. Nicht die leiseste.«

»Ich auch nicht. Wollen Sie was trinken?«

Er zuckte die Schultern. Sie ging ins Haus und kam mit zwei Bier wieder. Komisch, sie sah nicht aus wie eine Frau, die Bier aus der Flasche trank.

»Frau Deutz, es tut mir leid. Dass Sie eine Freundin verloren haben.« Das klang lahm, er hätte ihr gerne gesagt, wie leid es ihm tat. Wie leid es ihm auch tat, dass er Miri verloren hatte, die er doch gerade erst gefunden hatte. Gerhard fühlte sich grauenhaft. Was würde Bettina Deutz gedacht haben? Dass er Miri so zugesetzt hatte? Dass er sie in den Tod getrieben hatte?

»Sind Sie gekommen, um mir Ihr Beileid auszusprechen?«

»Nein, ich …«

»Was, Sie? Sie waren auf einer kleinen Radtour und sind zufällig hier vorbeigekommen? Ich glaube, wir sind beide aus dem ›Zufällig‹-Alter raus. Was wollen Sie, Herr Weinzirl?«

»Ich wollte … Ihnen sagen … ach Scheiße.«

Ein bitteres Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ja, Scheiße, genau! Miri ist tot. ›Welches der Worte du sprichst – du dankst dem Verderben.‹«

»Was?«

»Sie hielt ihm das Buch hin. »Paul Celan. Es gibt Zeiten im Leben, da kann man nur Paul Celan lesen. Miri mochte ihn auch, da waren wir zwei Outsider. Selbst meine Deutschlehrerkollegen konnten mit Celan nichts anfangen.«

Ein Satz kam von irgendwoher. »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.« Natürlich, Deutschunterricht. Irgendwo war der Satz abgespeichert, irgendwo da, wo das Schulwissen gelagert war. Weit weg, und doch bedurfte es nur eines Impulses. Paul Celan, »Todesfuge«. Er war kein Leser, schon gar nicht von Lyrik, aber heute hätte er gewünscht, seine Machtlosigkeit in Worte fassen zu können. Er, der sonst immer am liebsten schwieg.

»Hat sie es getan, Bettina? Hat sie sich umgebracht? Glauben Sie das? Sie kannten sie doch so gut?« Das war die Frage, die er die ganze Zeit stellen wollte.

»Ich weiß es nicht. Nein, ich kann das nicht glauben. Sie hat vieles verborgen, auch um sich der Welt nicht in schlechter Verfassung zuzumuten. Getrauert hat sie zu Hause, draußen war sie fröhlich und gewinnend.«

Er hatte sie gesehen. Sie war eine verdammt gute Schauspielerin gewesen. Miri Camouflage, Miri hinter der Maske.

»Ja, ich weiß.«

»Was denken Sie denn? Warum sind Sie hier? Ihr Fall ist doch abgeschlossen, oder?«

»Offiziell ja.«

»Und inoffiziell?«

»Ich glaube nicht, dass sie sich umgebracht hat.«

»Warum?«

Er starrte in den Garten. Ja, warum? Weil sie so lebendig gewesen war. Weil er das Gefühl gehabt hatte, das etwas hätte werden können. Gerade er, der jede Beziehung zu einer Frau bisher in den Graben gefahren hatte.



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